Nachvertragliche Kundenabwerbung zulässig?

Sehr geehrte Mandantinnen und Mandanten,
sehr geehrte Versicherungsmaklerrinnen und Versicherungsmakler,

 

bestimmend ist in allen ihren Verträgen das nachvertragliche Wettbewerbsverbot allumfassend geregelt. Bestimmt sind Sie auch der Meinung, dass Sie damit alles Erforderliche getan haben, um den Geheimnisschutz gerecht zu werden. Bestimmt gehen Sie davon aus, dass Ihre vertraulichen Daten und Betriebsgeheimnisse geschützt sind. Doch dieses Vertrauen in die vertraglichen Abreden über das nachvertragliche Wettbewerbsverbot kann möglicherweise durch eine aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung infrage gestellt werden! Das BAG beschäftigte sich mit der Rechtsfrage, wann eine Klausel zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot unwirksam sein könnte.

 

Diese aktuelle Rechtsprechung des BAG und des OLG Stuttgart zeigt, dass viele Handelsvertreter- bzw. Vertriebsverträge eine Renovierung der nachvertraglichen Wettbewerbs-Klauseln dringend nötig haben. Nach Auffassung der Kanzlei Michaelis kann „Nichtstun und Abwarten“ bei diesem wichtigen Thema keine Option sein, da wirksame Klauseln in diesem Bereich die unbedingt notwendige Voraussetzung darstellen, dass unlauterer Kundenabwerbung durch ehemalige Vertriebler und Dritte energisch begegnet werden kann. Denn der wirtschaftliche Schaden durch die spätere Abwerbung von ihren Kundenbeziehungen und deren Versicherungsverträgen kann erhebliche Auswirkungen haben!

 

Der heutige Newsletter stellt deshalb zwei wichtige aktuelle Entscheidungen dar, die den Status-Quo des nachvertraglichen Geheimnisschutzes weiter ausformulieren.

 

1.) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot

 

Im Regelfall will der Unternehmer eine Entschädigungsleistung sparen (vgl. § 90a HGB) und verlässt sich auf den „einfachen“ nachvertraglichen Schutz des § 90 HGB. Der Handelsvertreter darf gem. § 90 HGB Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, die ihm anvertraut oder ihm durch seine Tätigkeit für den Unternehmer bekanntgeworden sind, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht verwerten oder anderen mitteilen.

 

Nach § 90 2. HS HGB gilt die Geheimhaltungspflicht aber nur insoweit, wie dies „nach den gesamten Umständen der Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmannes widersprechen würde.“ Diese Ausnahme erfordert hier eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, die das Geheimhaltungsinteresse des Unternehmers dem Interesse des Handelsvertreters an anderweitiger Betätigung nach dem Vertragsende gegenüberstellt. 

 

Die Verwertung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen durch einen scheidenden Handelsvertreter widerspricht nach dieser Abwägung dann nicht der Berufsauffassung ordentlicher Kaufleute, wenn einerseits die Belange des Unternehmers nicht beeinträchtigt werden und andererseits der Handelsvertreter durch die Einhaltung der Geheimhaltungspflicht eine Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Lage erfahren würde.

 

Es ist diese Interessenabwägung, die in der Praxis insb. im Zusammenhang mit Kundenlisten immer wieder zu Schwierigkeiten führt. Den meisten Vertrieblern ist in diesem Zusammenhang noch die sog. „Gedächtnis“-Rspr. des BGH bekannt. Der ausgeschiedene Handelsvertreter darf durchaus solche Kundenadressen verwenden, die ihm im Gedächtnis geblieben sind, vgl. BGH, NJW 1993, 1876; NJW 2009, 1422. Wie viele Kunden i.E. dieser „Gedächtnisleistung“ entsprechen, wird der BGH niemals sagen, da die Gerichte mit der nur ungefähren Umschreibung eine eigene Einschätzungsprärogative behalten sollen.

 

 

2.) Verbindung § 90 HGB mit GeschGehG

 

Als eine der wichtigsten Erkenntnisse zu diesem Thema muss die Tatsache gelten, dass zwischen § 90 HGB und dem Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) nach Auffassung der Rspr. eine Verbindung besteht. Nachdem das GeschGehG am 26.04.2019 in Kraft getreten ist, wurde gleichzeitig dazu § 17 UWG ausrangiert. Diese Umstellung hat enorme Bedeutung. Während im Rahmen des § 17 UWG a.F. ein subjektiver Geheimhaltungswille des Unternehmers ausreichte, (der nach alter Rechtslage zudem vermutet wurde und nicht durch konkrete Geheimhaltungsmaßnahmen deutlich betont werden musste) wird nun durch § 2 Nr. 1b) GeschGehG eine Obliegenheit (d.h. eine Pflicht gegenüber sich selbst) zulasten des Unternehmers installiert. D.h. der Unternehmer muss objektive Geheimhaltungsmaßnahmen in Gang setzen. Werden keine „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“ ergriffen, besteht kein Geschäftsgeheimnis und damit auch keinerlei Geheimhaltungsschutz, vgl. LAG Düsseldorf, Urt. v. 03.06.2020 – 12 SaGa 4/20!

 

Der Unternehmer trägt in einem Prozess sodann die Darlegungs- und Beweislast, ob er solche angemessenen Schutzmaßnahmen ergriffen hat; kann er hier nichts oder zu wenig vortragen, steht er auf verlorenen Posten!

 

a) Was sind „angemessene Schutzmaßnahmen“?

 

Bzgl. der Frage, wie solche objektiven Schutzmaßnahmen aussehen können, besteht nach wie vor Verunsicherung. Der Gesetzgeber – sowohl die EU-Richtlinie, die dem dt. GeschGehG vorausging, als auch das GeschGehG selbst – hat dazu einiges beigetragen, da die Gesetzes-Begründungen lediglich lange und abstrakte Umschreibungen anbieten. Die praxisrelevanten Einzelheiten blieben scheint´s bewusst der Lehre und Rechtsprechung überlassen, vgl. Katalog in: BT-Drs. 19/4724, S. 24.

 

Tatsächlich stellen die beiden hier darzustellenden Urteile nun wichtige Mosaik-Steinchen dar, die veranschaulichen, wie durch die Rspr. Pflöcke eingeschlagen werden, um der Praxis zu erläutern, welche konkrete Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind.

 

(1) BAG, Urt. v. 17.10.2024 – 8 AZR 172/23

 

Der zentrale Leitsatz dieser Entscheidung lautet:

 

„Eine formularmäßig vereinbarte Vertragsklausel, die den Arbeitnehmer bezüglich aller internen Vorgänge beim Arbeitgeber über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus zeitlich unbegrenzt zum Stillschweigen verpflichtet (sog. Catch-all-Klausel), benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen und ist deshalb unwirksam.“

 

Damit hat nun auch das höchste dt. Arbeitsgericht die Unzulässigkeit solcher „catch-all-Klauseln“ bestätigt, vgl. zuvor schon: LAG Köln, BeckRS 2019, 44850; LAG Düsseldorf, GRUR-RS 2020, 23408.

 

Das bedeutet: 

 

Klauseln, die einen Arbeitnehmer oder Handelsvertreter dem Ende des Vertriebsverhältnisses hinsichtlich rechtmäßig erlangter Kenntnisse uneingeschränkt und unendlich zur Verschwiegenheit verpflichten, stellen eine unangemessene Benachteiligung dar und sind unwirksam (§§ 310, 307 BGB).

überdies ist es auch eine „unangemessene Maßnahme“ i.S. von § 2 Nr. 1b) GeschGehG, weil „Geheimschutz-Management“ auf einzelne Geheimnisse speziell abzielen muss.

 

(2) OLG Stuttgart, Urt. v. 28.07.2022 – 2 U 191/21

 

Die BAG-Entscheidung ist zu flankieren durch ein kürzlich veröffentlichtes Urteil des OLG Stuttgart. Der entscheidende Satz lautet hier:

 

„Maßgebend ist, ob der Geheimnisinhaber im Vorfeld sinnvolle und effiziente Maßnahmen getroffen hat, um die Informationen zu schützen. Die konkreten Geheimhaltungsmaßnahmen hängen von der Art des Geschäftsgeheimnisses im Einzelnen und von den konkreten Umständen der Nutzung ab.“

 

Dieser Satz verdeutlicht noch einmal, dass aus Sicht der Rspr. ein Unternehmer für wirklichen, d.h. gerichtsfesten Geheimnisschutz mehr tun muss, als nur eine Klausel in seinen Vertriebsverträgen zu ändern bzw. anzupassen. Was verlangt wird, ist ein „stimmiges Schutzkonzept“. Wie üblich in der Compliance sind a) klare unternehmerische Vorgaben, b) Dokumentations- sowie Schulungsvorgänge und c) Überwachungsmaßnahmen erforderlich. Nachvertraglicher Geheimnisschutz ist eine Compliance-Herausforderung für die Unternehmen. D.h. dass die Nichteinhaltung nicht nur die Verfolgung eigener Ansprüche erschwert und unmöglich macht, sondern dass die Vernachlässigung zudem auch angreifbar (Abmahnung + Bußgeld) macht.

 

Nochmal:

 

Eine angemessene Geheimhaltungsmaßnahme kann auch in einer (transparenten und angemessenen) Vertrags-Klausel liegen, doch ist dies nur eine notwendige und keine hinreichende Bedingung. D.h. die Klausel allein reicht nicht aus, um ein wirksames Schutz-Konzept zu installieren, damit man sich auf „angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ bzgl. nachvertraglichen Wettbewerbs berufen zu können, vgl. LAG Düsseldorf, Urt. v. 03.06.2020 – 12 SaGa 4/20; OLG Hamm, Urt. v. 15.09.2020 – 4 U 177/19.

 

b) Zwischenergebnis

 

§ 90 HGB verweist auf § 2 Nr. 1b GeschGehG. Um sich auf ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot berufen zu können sind angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen erforderlich. Wann diese vorliegen, beurteilt sich nach einem objektiven Maßstab anhand der Umstände des Einzelfalles. Es sind stets die Unternehmensgröße, die Branche, der Wert des „Geheimnisses“, die konkrete Gefährdungslage und das Schutzkonzept des Unternehmens zu berücksichtigen. Ein Unternehmen, das kein Konzept hat, verdient keinen Schutz.

 

3.) Klausel-Überprüfung

 

Die Installation eines tauglichen Compliance-Systems, in die eine Vertrags-Klausel eingebettet sein muss, kann nicht anhand von 2, 3 Stichwörtern vorweggenommen werden, dazu bedarf es weitergehender rechtlicher Beratung und Betreuung. Am Anfang muss jedoch eine Überprüfung des Vertriebsvertrages zu dem Vermittler stehen. Um die Leitplanken der o.g. Rspr. umzusetzen, muss eine nachvertragliche Wettbewerbsklausel i.S. des § 90 HGB deutlich werden lassen, dass der Begriff des „Geschäftsgeheimnisses“ i.S. des § 2 Nr. 1b GeschGehG Anwendung findet. 

 

Als weiterer Mindeststandard muss erkennbar werden, dass relevante Informationen nur Personen anvertraut werden, die die Informationen zur Durchführung ihrer Aufgabe (potentiell) benötigen und die zur Verschwiegenheit auch nach Beendigung des Vertrages hinaus verpflichtet worden sind. Zudem müssen diese Personen von der Verschwiegenheitsverpflichtung in Bezug auf die fraglichen Informationen konkrete Kenntnis haben (sog. „need to know“ Prinzip). 

 

4.) Fazit

 

Aus unserer Sicht ist es so, dass ganz überwiegend sehr weitreichende Klauseln vertraglich vereinbart wurden, die ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot untersagen. Mit Einführung des Geschäftsgeheimnisgesetz verlangt der Gesetzgeber strengere tatsächliche und rechtliche Vorgaben.

 

Wegen des enormen wirtschaftlichen Schadenpotenzials ist es unbedingt erforderlich, rechtswirksame nachvertragliche Wettbewerbsverbote mit den Vertragspartnern zu vereinbaren. Dies betrifft sowohl die Handelsvertreter und sonstige Vertriebler, wie auch die Arbeitnehmer.

 

Natürlich haben wir uns darauf vorbereitet, Sie zu diesem Thema zu beraten und Ihnen eine praktische und konkrete Hilfestellung anzubieten. Unsere Dauerberatungsmandanten können selbstverständlich dieses Wissen und unsere aktuellen Empfehlungen jederzeit kostenfrei abfordern.

 

Insbesondere der Verfasser dieser Ausarbeitung, Herr Rechtsanwalt Oliver Timmermann freut sich darauf, Sie zu diesem Thema im Vertriebsrecht persönlich beraten zu dürfen.

 

Die arbeitsrechtlichen Ausgestaltungen übernehmen unsere Kollegin Frau Rechtsanwältin Sarah Kolß und Herr Rechtsanwalt Dr. Jan Freitag.

 

Ich empfehle Ihnen dringend, dass Sie sich dieses wichtigen Themas erneut annehmen! Aufgrund der klaren Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung werden auch die Instanzgerichte künftig sehr schneller dabei sein, die Unwirksamkeit alter „Catch-all-Klauseln“ auszuurteilen.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Ihr,

 

 

Stephan Michaelis LL.M.

Fachanwalt für Versicherungsrecht

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht